Arbeitswelt Teil 1: Die verlorene Generation9 Minuten Lesezeit

Wir waren eine glückliche Generation, man nannte uns die Babyboomer. Damals wusste man unsere Arbeitskraft nicht zu schätzen, und heute fehlen wir.
Eine schöne Kindheit
Ich gehöre zu den geburtsstarken Jahrgängen, den sogenannten Babyboomern. Unsere Eltern waren zum größten Teil verheiratet, Scheidungen waren selten. Die meisten von uns hatten Geschwister. Oft arbeitete nur der Vater, während die Mutter als Hausfrau zuhause blieb.
In einer Klasse gab es bis zu 30 Schüler. In der Schule gab es noch Schwimmunterricht. Wir gingen alleine zur Schule und waren auch nach der Schule oft stundenlang unterwegs, ohne dass unsere Eltern genau wussten, wo wir waren. Keiner fuhr uns zum Tanzunterricht oder zum Fußball.
1. Eine glückliche Generation
Wir waren eine glückliche Generation (Publikation vom Berlin-Institut über die Babyboomer, die in Rente gehen) – so dachten wir. Aber spätestens als sich die Schulzeit zum Ende neigte, wurde klar, dass es auch Nachteile gab, wir waren eben zu viele.
1.1. Aufbruch in die Arbeitswelt
Es gab die, die schon als kleines Kind genau wussten, was sie später werden wollten. Aber die anderen waren eher ratlos. Vom Arbeitsamt gab es ein Buch, A-Z-Verzeichnis aller Berufe. Mädchen hatten die Wahl zwischen Sekretärin, Krankenschwester, Friseurin oder Verkäuferin. Die Jungen wollten Automechaniker werden.
Im 10. Schuljahr fand ein Praktikum statt, um dadurch zu sehen, wie das Berufsleben sein konnte. Praktikumsplätze waren rar, und man nahm, was man bekam. Ich hatte Glück und fand einen schönen Platz bei einem Graveur.
1.2. Der Kampf um die Ausbildungsplätze
Kurz vor dem Ende der 10. Klasse ergab eine Umfrage, dass noch nicht alle einen Ausbildungsplatz ergattert hatten. Auf jeden freien Platz gab es Dutzende von Bewerbern. Da wurde sogar auf dem Bewerbungsschreiben jeder Punkt, der nicht direkt über dem “i” gelandet war, als Fehler in Rot angekreuzt. Und schon war man abgehakt.

Es ging nicht mehr darum, den Traumberuf zu erlernen, der Sinn war es, überhaupt einen Beruf erlernen zu dürfen. Man musste nehmen, was man kriegte. Aber der Gedanke daran, in einem ungeliebten Beruf bis zur Rente arbeiten zu müssen, war grauenhaft. Also war man froh, wenn es nicht ausgerechnet der schlimmste Beruf war, den man sich vorstellen konnte.
Die furchtbarsten Berufe waren für mich Krankenschwester, Sekretärin, Verkäuferin und Friseurin. Also eigentlich die typisch weiblichen Berufe. Und als Wunschberufe hatte ich Pilotin (zu klein und weiblich), Tischlerin (weiblich), Innen-Architektin (kein Abitur), Profi-Musikerin (nicht das richtige Instrument). Also konnte ich diese Berufe schon mal abhaken.
Mangels Vorstellungskraft wurde ich Arzthelferin beim Hausarzt.
2. Open End als Arzthelferin
Damals war es noch üblich, dass Arzthelferinnen keine feste Arbeitszeit hatten, sondern arbeiten mussten, bis der letzte Patient ging. Es gab keine Schichten, also gab es eine manchmal eher kurze Mittagspausen, dann arbeitete man weiter bis 19 oder 20 Uhr. Die Bezahlung war gering.
Aber es gab etwas Gutes, da man keine Zeit zum Einkaufen hatte, denn die Geschäfte schlossen spätestens um 18 Uhr, konnte man viel Geld sparen.
Schon der Gedanke an diese Zukunft ließ mich erschauern, und ich beschloss, lieber nach Australien auszuwandern.
2.1. Arzthelferinnen heiraten früh

Während der Berufsschule traf man auf die typischen zukünftigen Arzthelferinnen. Sie waren hübsch, perfekt geschminkt, gut angezogen und wussten ihre Vorzüge zu präsentieren, und auf keinen Fall wollten sie den Rest ihres Lebens bei einem Arzt arbeiten. Besser war es, den Arzt zu heiraten. Aber es gab ja noch die Auswahl bei den Patienten, wenn es nicht mit dem Arzt klappte.
Leider machten sich bei manchen dieser Mädchen gewisse Mängel in der Allgemeinbildung bemerkbar. Was den Sozialkundelehrer fast in den Wahnsinn trieb.
Schon während der drei Jahre Berufsschulzeit wurden mehrere schwanger oder brachen die Ausbildung ab, weil sie heirateten.
3. Die Glücklichen
Und so ging der Kampf im Berufsleben weiter. Auf jede Arbeitsstelle gab es so viele Bewerber bei uns Babyboomern, dass der Arbeitgeber den preiswertesten aussuchen konnte. Wenn einem etwas nicht passte, konnte er gehen, es gab genügend Andere für den Arbeitsplatz.
Andererseits gab es noch genügend Arbeitende, die ihr Leben lang bei ihrer ehemaligen Ausbildungsstelle bleiben konnten, wir nannten sie die “Glücklichen”.
Zu denen gehörte ich leider nicht.
3.1. Die Austauschbaren
Man erlebte so manche Ungerechtigkeit. Angestellt bei zwei Arbeitgebern zu einem überdurchschnittlichen Arbeitslohn, weil der ältere Chef meinte, Arbeit solle sich lohnen. Um aber, nachdem der andere den Betrieb übernahm, finanziell wieder “degradiert” zu werden.
Und dann sogar gekündigt, weil er noch mehr Geld sparen wollte, um dafür eine Teilzeitkraft einzustellen.
→ weiter geht es mit S.2 Auf dem Weg nach Australien
Autor Profil

- Marion Klüter ist Multimedia-Fachfrau und Bloggerin. Sie besitzt zwei Blogs mit unterschiedlichen Schwerpunkten, da sich beide Themen nicht miteinander vereinen ließen, denn Wut und Kreativität passen schlecht zueinander. Trotz vieler Rückschläge in ihrem Leben hat sie den Humor nicht verloren und lacht weiterhin gerne, auch über sich selbst.
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